Ein kleiner Fotokurs – Wasser in Bewegung, Island in Bewegung
Wer kennt sie nicht die Bilder mit dem „Schleier-Effekt“ auch „weiches Wasser“ oder „Wasser mit Nebel“ genannt? Das Internet ist voll davon. Und sehr viele dieser Aufnahmen stammen von den bekannten Wasserfällen Islands.
Es ist nicht unbedingt meine Art der Fotografie, ich möchte lieber deutlich (und eingefroren) sehen, wie das Wasser wild spritzt, aber da ich in letzter Zeit oft gefragt wurde, wie man diesen Effekt fotografiert, werde ich an dieser Stelle einmal die technischen Grundlagen für den „Schleier-Effekt“ in Worte fassen. Kreativ sein, müsst ihr!
Die Ausrüstung
Festes Schuhwerk Regen- und Wetterschutz für Mensch und Technik (Plastiktüten können hierbei sehr hilfreich sein).
Eine Kamera, die eine Langzeitbelichtung und die manuelle Steuerung von Belichtungszeit und Blende zulässt.
Ein Stativ ist unerlässlich. Dieses sollte auch dafür geeignet sein, schon einmal ins Wasser gestellt zu werden. Es sollte schwer genug sein, dass es vom Wasser nicht weggespült wird, es selbstverständlich die Kamera sicher und standfest trägt und sich die Vibrationen des Wassers nicht auf Stativ und Kamera übertragen. Für die meisten Stative wird ein maximales Gewicht angegeben mit dem sie sicher belastet werden können.
Ein Fernauslöser zum erschütterungsfreien Auslösen der Kamera. Die gibt es kabelgebunden, als Funkfernauslöser oder als App für das Smartphone.
Ein Graufilter zum Verlängern der Belichtungszeit. Diese Filter werden auch als ND- oder Neutral- oder Neutraldichtefilter bezeichnet und die gibt es mit unterschiedlicher Durchlässigkeit. Optional kann noch ein Pol- oder Polarisationsfilter eingesetzt werden, um unerwünschte Spiegelungen zu vermeiden.
(Wer gerade kein entsprechendes Stativ oder einen umfangreichen Filtersatz dabei hat, der kann bei BECO in Reykjavik einiges an Zubehör mieten: Beco Camera Store, Langholtsvegur 84, Reykjavík, Island, Phone: +354 533 3411. Ein vorheriger Anruf ist sehr empfehlenswert.)
Alles eingepackt? Auf geht´s!
Wer mit dem Mietwagen auf Island unterwegs ist, der findet geeignete Wasserfälle, Flüsse und Bäche hinter jeder Kurve. Es gibt also ausreichend Möglichkeit zu üben. Bei der Motivsuche sollte man jedoch bedenken, dass die Sensoren der Kameras (wie Filme auch) nur einen begrenzten Kontrastumfang verfügen. Das heißt, es gibt einen Belichtungsspielraum von den hellsten Bereichen eines Bildes, die gerade noch Zeichnung ausweisen bis zu den dunkelsten Bereichen, die gerade noch Informationen enthalten. Wir sollten uns bemühen, uns mit unserem Motiv genau in diesem Bereich zu bewegen. Durch einige Testaufnahmen, auch ohne Filter und Stativ, lässt sich ganz gut erkennen, wo die Lichter „ausfressen“ und in den Schwärzen nichts mehr zu sehen ist. Passiert das, haben wir die technischen Fähigkeiten unseres Materials überreizt. Wer mit RAW-Dateien arbeitet, hat hier in der Nachbearbeitung deutlich mehr Spielraum. Recht gut für unser Vorhaben eignen sich Morgen- oder Abendstunden. Zumal die Sonne tiefer steht und dem Motiv womöglich mehr Plastizität verleiht. Aber das ist Geschmackssache. Auch eine nachträgliche Bearbeitung mit Hilfe eines HDR (High Dynamic Range)-Programms. wäre eine Möglichkeit, den Kontrastumfang zu erweitern.
Haben wir alles aufgebaut? Steht das Stativ sicher, ist die Kamera befestigt und ausgewinkelt, ist der ND-Filter vor der Linse und unser Fernauslöser angeschlossen? Dann kann es ja losgehen:
Was wir erreichen wollen ist, dass sich das, was sich bewegt, verschwommen abgebildet wird und die Objekte im Bild die sich nicht bewegen (sollen) scharf abgebildet werden. Daher verwenden wir eine lange Belichtungszeit. Grundlegend gilt: Je länger die Belichtungszeit, desto „weicher“ das Wasser. Wie lang die Belichtung des Bildes werden soll hängt also wieder ganz von persönlichen Vorlieben ab. Fangt doch einfach mal bei einer halben Sekunde an und verlängert die Belichtungszeit nach Belieben. Einfach herumspielen. Bedacht werden, sollte dabei jedoch, dass der Wind möglicherweise auch für Bewegung dort sorgt, wo wir sie nicht gebrauchen können. Bei Blättern, Gräsern ober schwankenden Baumwipfeln. Von essenzieller Bedeutung beim Fotografieren mit langen Belichtungszeiten ist das erschütterungsfreie Belichten. Weder sollte unser Stativ wackeln noch sollte durch den mechanischen Auslösevorgang unser Kameragehäuse erschüttert werden. Hierfür bieten viele Spiegelreflexkameras die Möglichkeit der Spiegelvorauslösung oder, wie etliche Systemkameras, die Möglichkeit einen elektronischen Verschluss zu verwenden. Ein Blick ins Handbuch hilft hier weiter. Unser Fernauslöser dient ebenso dazu erschütterungsfrei auszulösen. Ist keiner zur Hand kann man sich immer mit dem eingebauten Selbstauslöser der Kamera behelfen.
Um auch bei Tageslicht auf eine angemessen lange Belichtungszeit zu kommen, wählen wir zuerst eine niedrige Empfindlichkeit (kleine ISO-Zahl). Die Wahl einer kleinen Blende (große Blendenzahl) ermöglicht uns es ebenso die Belichtungszeit zu verlängern und hat mit der damit einhergehenden Vergrößerung der Tiefenschärfe auch einen gestalterischen Einfluss. Hier gilt: Kleine Blendenöffnung (große Blendenzahl) = weniger Licht = längere Verschlusszeit zur korrekten Belichtung = größere Tiefenschärfe. Reicht dies immer noch nicht aus, um die gewünschte Belichtungsdauer zu erreichen oder will man gestalterisch vielleicht gar keinen so großen Schärfebereich abbilden, dann kommt jetzt unser Grau- oder ND-Filter zur farbneutralen Verlängerung der Belichtungszeit zu Einsatz. Die Dichte des jeweiligen Filters wählen wir je nach unseren Wünschen.
So, das war´s auch schon. Mehr ist nicht zu tun. Alles kein Hexenwerk. Jetzt muss man sich nur noch die Zeit nehmen und mit diesem Grundlagenwissen herumspielen. Übrigens funktioniert dieses Setup nicht nur bei Wasserfällen und Flüssen und ist keineswegs auf Island beschränkt. Es kann überall zum Einsatz kommen. Aber hier macht es bestimmt mehr Spaß damit herumzuexperimentieren.
Also auf zur Praxis!
Mein Lieblingswasserfall ist der Dynjandi in Þingeyri, ein Kaskadenwasserfall in der Nähe von Ísafjörður - ideal für Kreuzfahrtreisende, die von Ísafjörður einen Ausflug dorthin buchen können. Von dort startet auch eine etwa fünf stündige Halbtagestour.
Auch ein spektakulärer Ort für „weiches Wasser“ ist natürlich der Goðafoss. Und selbstverständlich gibt es rund um Reykjavik genug Wasserfälle zu entdecken, die mit einem Tagesausflug besucht werden können. Der bekannteste Wasserfall ist wohl der Seljalandsfoss. Hier kann man auch hinter dem Wasserfall entlanglaufen. Mit einer ordentlich spitzwassergeschützten Kameraausrüstung ein toller Ort zum fotografieren. Logisch: Auch hierhin gibt es verschiedene Tagestouren, Freitags auch deutschsprachig.
Ans Herz legen möchte ich Euch noch den Hraunfossar. Auch dieser Wasserfall ist mit einem Tagesausflug von Reykjavik zu erreichen und man gleich noch in einem dem Thermalbad Krauma baden und besucht die heißen Quellen Deildartunguhver.
Wer sich jetzt an Wasserfällen erfolgreich versucht, der möge doch sein Wissen einmal beim Meer in die kreative Tat umsetzen. Hier lohnt sich ein Ausflug auf die Halbinsel Reykjanes. Neben Lavafeldern und etlichen heißen Quellen gibt es eine Menge Küste an den man spektakuläre Langzeitbelichtungen machen kann. Die spektakulären Küstenfelsen Valahnúkamöl finden sich am südlichen Ende der Halbinsel und bieten vielen kreative Möglichkeiten für den Fotografen. Am besten man erkundet in die Halbinsel mit einem Mietwagen auf eigene Faust. Es lohnt sich! Was man hier noch alles entdecken kann, findet ihr hier.
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