Sónar Reykjavík | 3 Tage, 5 Bühnen, 67 Konzerte
Das Sónar Reykjavík gehört in jedem Fall zu den größeren Musikveranstaltungen Islands. Die Herausforderung fängt bei solchen Festivals bereits bei der Planung an: Welche Band möchte ich sehen? Wo spielt diese Band? Wie komme ich dort hin? Im Vergleich zum Airwaves ist zumindest letzteres beim Sónar eigentlich keine große Schwierigkeit, denn sämtliche Konzerte finden in der Harpa, dem Konzerthaus Reykjaviks, statt. Dennoch will der persönliche Zeitplan gut durchdacht sein. Bewaffnet mit Kameraequipment und ganz altmodisch – Zettel und Stift – machten wir uns am Donnerstag vor einer Woche erwartungsvoll auf die Reise durch verschiedene Musikgenres, neue und bekannte isländische Künstler, dröhnende Bässe und engelsgleiche Stimmen.
1. Festivaltag
Der erste Festivaltag begann zunächst mit einer eher weniger erfreulichen Überraschung, denn zur ersten Band des Abends, dem isländischen Experimental-Elektro-Trio Stereo Hypnosis, hatten sich gerade mal etwa zwei Duzend Leute in der Größten der Konzerthallen der Harpa, Silfurberg, eingefunden. Es sollte sich zeigen, dass auch die ersten Künstler der folgenden Abende damit zu kämpfen haben sollten, da sich die meisten Festivalgäste immer erst gegen neun, halb zehn in der Harpa einfanden. Beim folgenden Act, der großartigen Dream Pop/Ambient Electro Gruppe Vök aus Hafnarfjörður und Akranes, sah es zum Glück schon etwas besser aus und die hochgelobten Isländer sorgten mit ihrem melodischen, an The XX erinnernden Sound und starken Beats für das erste Highlight und eine tanzende Menge. Im März spielen sie in Berlin, Hamburg und Köln, wenn das in eurer Reichweite ist, unbedingt hin gehen!
Foto: Stagedive Photo
Direkt im Anschluss folgte mit den Töchtern Reykjaviks, Reykjavíkurdætur, gleich der nächste Kracher. Das gute Duzend rappender und wild auf der Bühne umher springender Frauen ist ein Erlebnis und konfrontiert die Zuschauer mit explosiver Energie und provokanten Einlagen sowie Texten, die aufgrund dessen, dass sie auf Isländisch gesungen werden, wohl nur die wenigsten Gäste wirklich verstehen. Aber das hinderte niemanden daran, auch den Zuschauerraum in ein Tollhaus zu verwandeln. Nach Abstechern zu den weiteren isländischen Acts Good Moon Deer, Milkywhale und intr0beatz endete der erste Abend mit einer Eurovision-Glitzershow im Kleinformat: die isländische Pop-Ikone Páll Óskar lieferte in der Silfurberg Halle die vielleicht beste Show des ganzen Festivals ab mit Tänzern in silbernen Pailletten-Morphsuits und Glitzerkanonen. Selbst wenn man mit stark an Schlager erinnernder Pop-Musik im 80er/90er Jahre Stil nicht so viel am Hut haben sollte, so einer Darbietung kann man sich kaum entziehen. Und bei den Isländern bzw. v.a. den Isländerinnen scheint Páll Óskar wirklich Kultstatus zu besitzen, wenn man dies an der Anzahl der mitsingenden Fans in den ersten Reihen bemisst.
2. Festivaltag
Der zweite Tag begann mit einem Bauchkribbeln. Vaginaboys standen auf dem Programm, und es war unklar welche Überraschungen sie diesmal für ihr Publikum bereit halten würden. Eine dieser Überraschungen wurde uns bereits am Vortag präsentiert. Der Sänger der Band spazierte ohne seine typische Maske, aber unverwechselbar durch seine Kleidung (er trug eine Vaginaboys Cap) über das Konzertgelände. Seine Identität, die er mit der Maske während der Auftritte zu verbergen versucht, war also kein Geheimnis mehr. Zuviel wollen wir an dieser Stelle aber auch nicht verraten. Den Beginn des Abends machte GANGYL. Auch sie hatten das Pech, zu früh in einer großen Hallen vor zu wenigen Leuten zu spielen. Das Konzert war dennoch mitreißend durch die zauberhafte Stimme der Sängerin und ihren Hit „Fuck with someone else“, der in Island einen regelrechten Hype auslöste. Nicht zuletzt durch die beindruckenden Visuals hätte dieser Auftritt mehr Aufmerksamkeit verdient. Danach lud Halleluwah zu einem verträumten Konzert im Norðurljós Saal ein. Die Sängerin Rakel Mjöll flirtete mit ihrem Publikum während sie feenhaft über die Bühne schwebte. Ihr Song „Move Me“ versetzte die Zuhörer noch einmal in Bewegung bevor die Show endete. Mit viel Spannung erwartet betraten als nächstes Vaginaboys die Bühne. Eigentlich waren sie schon auf der Bühne bevor das offizielle Konzert losging, was etwas verwirrend war. Trotz der Masken war leicht zu erkennen, dass sich die Crew im Verlauf der letzten Konzerte immer wieder verändert hat. Diesmal war sogar eine Frau auf der Bühne, die dem aufmerksamen Beobachter isländischer Bands bekannt vorkommen konnte. Es handelte sich um Þorbjörg R. Gunnarsdóttir, die auch schon mit der Band Retro Stefson auf der Bühne stand – mal wieder ein schöner Beweis dafür wie klein und verflochten die isländische Musikszene ist. Teile des Publikums waren sich allerdings vielleicht nicht ganz sicher, ob Vaginaboys ernst zu nehmen sind, was auch durch die zweideutigen Visuals im Hintergrund nicht einfacher wurde. Nur die ersten beiden Reihen, bestehend aus, meist weiblichen, Hardcore-Vaginaboys Fans, konnten nicht genug bekommen, und schrien sich stellenweise die Kehle aus dem Leib. Fazit: die Jungs (teilweise noch unter 18 Jahren alt) haben Potenzial, müssen aber noch an ihrer Bühnenorganisation und dem Gesamtkonzept arbeiten.
Foto: Stagedive Photo
Im Sónar Pub, einer Bar mit DJ Pult daneben, draußen in den Gängen der durchgehend imposant beleuchteten Harpa, legten im Anschluss die beiden Isländer Kosmodod und Tandri auf. Letzter ist noch relativ unbekannt, trumpfte dafür aber mit einem Set auf was die Menschen vor der Bühne zum Tanzen und durchdrehen brachte. Das eindeutige Highlight hob sich aber auch der zweite Abend bis fast zum Schluss auf: die zwei Jungs von Kiasmos, Janus Rasmussen und Ólafur Arnalds, boten eine perfekte Show vor zum Bersten gefüllter Halle in ihrer Heimatstadt. Visuals, Lichttechnik und der zwischen Trance und heftig tanzbaren Beats wechselnde Sound der beiden Elektro-Masterminds waren perfekt aufeinander abgestimmt und sorgten für einen der großen Sónar Momente.
Foto: Stagedive Photo
3. Festivaltag
Tag drei versprach nochmal zu einem ein Höhepunkt zu werden. Schließlich erwarteten uns mit Úlfur Úlfur und GKR ein Schwergewicht und ein hoch gehandelter Newcomer der isländischen Rap/Hip Hop Szene. Das großartige an isländischem Rap liegt in der Sprache selbst. Diese ist bekannterweise nicht gerade einfach, umso beeindruckender sind die Lines der Rapper, die selbst für Isländer stellenweise nicht leicht zu verstehen sind. Gaukur Grétuson aka GKR produziert und mixt fast alle seine Songs und zugehörigen Videos selbst. Sein Talent wird spätestens dann sichtbar, wenn er mit einer unglaublichen Präsenz und ansteckender Energie über die Bühne tanzt und Songs wie „Morgunmatur“ (Frühstück) oder „Hello“ singt. Am Ende gab es dann noch passend dazu kleine Cerealien-Boxen für das Publikum, signiert von GKR. Von ihm wird und muss man in Zukunft definitiv noch mehr hören.
Foto: Stagedive Photo
Úlfur Úlfur hingegen haben sich ihren Namen bereits gemacht und gehören zu den dicken Fischen in der aufstrebenden Rapszene Islands. Ihr letztes Album „Tvær plánetur“ ist großartig und mit einigen Gastauftritten anderer bekannter isländischer Künstler gespickt – und so gaben sich auch bei ihrem Set beim Sónar Arnór Dan von Agent Fresco und der Rapper Kött Grá Pje die Ehre. Von den Math Rockern von Agent Fresco kam außerdem Unterstützung durch Vignir am Bass und Keli an den Drums. Durch diese Live-Instrumentierung erhielt ihr Auftritt noch mehr Power als üblich, ein völlig ausrastendes Publikum war da nur die logische Folge.
Foto: Stagedive Photo
Mit diesem großen Knall war das Sónar Reykjavík 2016 auch schon wieder viel zu schnell vorbei. Jetzt heißt es wieder warten. Und sich so gut es geht mit Konzerten isländischer Künstler hierzulande über Wasser halten.
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